„Wir halten unsere Freiheiten oft für selbstverständlich“
Rachel Amondi Odongo studiert im Master am KIT. Für ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe wurde die angehende Bioingenieurin nun mit dem DAAD-Preis für besonders engagierte internationale Studierende ausgezeichnet. Im Interview mit clicKIT spricht sie über kulturellen Austausch, was sie aus Deutschland nach Kenia mitnehmen würde – und umgekehrt.
clicKIT: Du hast den DAAD-Preis einerseits für deine guten Leistungen im Studium, aber auch für dein ehrenamtliches Engagement erhalten. Was hat dich zu deinem Ehrenamt inspiriert?
Rachel Amondi Odongo: Ich war schon immer ehrenamtlich aktiv, schon in der High School in Nairobi. Dort habe ich in einem Waisenhaus mit Frauen gearbeitet, die Traumata erlebt haben. Jetzt arbeite ich mit geflüchteten Frauen. Wir organisieren ein „Frauencafé“, wo die Frauen ein bis zwei Stunden für sich haben – ohne Kinder, ohne Männer. Ich finde es wichtig, dass Frauen in solchen Situationen zusammenkommen. Trotz Sprachbarriere kann man gemeinsam etwas basteln oder gestalten. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich helfen kann. Ich sage immer: Wenn ich nicht Ingenieurin wäre, hätte ich Sozialarbeit studiert. Ich brauche neben dem Ingenieurwesen etwas, das nicht so abstrakt ist.
clicKIT: Was für Erfahrungen hast du in der Flüchtlingsarbeit gemacht?
Rachel Amondi Odongo: Am Anfang habe ich Deutschkurse in einer Erstaufnahmestelle gegeben. Das war sehr intensiv, weil ich engen Kontakt zu den Frauen hatte. Sie waren gerade angekommen und haben mir ihre Lebensgeschichten erzählt – das war manchmal schwer zu hören. Viele von ihnen kommen aus Situationen, die wir uns kaum vorstellen können. Wir halten unsere Freiheiten oft für selbstverständlich, aber viele dieser Frauen hatten solche Freiheiten nie. Die Arbeit hilft mir, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben und nicht zu vergessen, was in der Welt passiert. Man sieht es nicht nur in den Nachrichten – man trifft die Menschen persönlich. Das macht einen Unterschied. Und ist manchmal sehr hart.
clicKIT: Wie viel Zeit investierst du in dein Ehrenamt?
Rachel Amondi Odongo: Das ist unterschiedlich – je nachdem, wie viel ich an der Uni zu tun habe. Meistens mache ich so zwei bis dreieinhalb Stunden pro Woche. Wenn es im Studium stressig ist, auch mal nur eine Stunde.
clicKIT: Kommen wir zu deinem Studienfach. Warum hast du dich für Bioingenieurwesen entschieden, was fasziniert dich daran?
Rachel Amondi Odongo: Ich habe im Bachelor Chemieingenieurwesen studiert, weil ich gut in Mathe und Chemie war. Ich wollte ursprünglich reine Chemie studieren, aber man hat mir gesagt, das habe keine Zukunft. Also bin ich ins Ingenieurwesen gegangen – aber das war mir zu wenig Chemie. Bioingenieurwesen verbindet Ingenieurwesen mit Biologie und Chemie. Besonders spannend finde ich meine Schwerpunkte – Biopharma und Energie aus nachwachsenden Rohstoffen. Es wäre toll, an einem Projekt mitzuarbeiten und damit Diesel, Benzin und sonstige Endchemikalien auf Basis nachwachsender Rohstoffe herzustellen. Die Forschung in dem Bereich ist extrem wichtig.
clicKIT: Der Preis soll auch die Geschichten und Gesichter internationaler Studierender am KIT sichtbar machen. Es geht auch darum, was man aus Deutschland mit ins Heimatland nimmt – und umgekehrt. Also: Was würdest du aus Deutschland nach Kenia mitnehmen wollen?
Rachel Amondi Odongo: Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt zurück nach Kenia gehe. Aber wenn, dann würde ich die deutsche Arbeitskultur mitnehmen. Ich meine nicht, dass die Menschen in Kenia nicht hart arbeiten – sie arbeiten hart! Aber in Deutschland sehe ich, dass man in ganz verschiedenen Berufen erfolgreich sein kann. Nicht nur Ärztinnen oder Anwälte sind wichtig – auch handwerkliche Berufe haben einen hohen Stellenwert. Das ist in Kenia ganz anders. Ich würde auch das Ausbildungssystem mitnehmen – das gibt es bei uns kaum. Die Idee, eine Ausbildung zu machen und sich dann weiterzubilden, finde ich richtig gut.
clicKIT: Und was würdest du aus der Kultur deines Heimatlandes nach Deutschland bringen?
Rachel Amondi Odongo: Offenheit. Viele Deutsche sagen, ich sei sehr offen und freundlich – aber das bin nicht nur ich, das ist unsere Kultur in Kenia. Ich glaube, es fällt vielen Deutschen schwer, sich für neue Menschen zu öffnen. Vor allem an der Uni merke ich oft, dass es Gruppen gibt, in die man sich nicht leicht integriert. Besonders, wenn man aus dem Ausland kommt und nicht gut Deutsch spricht. Diese Offenheit würde ich hier gerne mehr in die Gesellschaft tragen.
19.6.2025